Mutige, ungewöhnliche Projekte stellt dieser Mann auf die Beine: Stefan Weiller erzählt Geschichten von Menschen, die extreme Erfahrungen gemacht haben und setzt sie um in anrührende, ergreifende Bilder. Dabei ergreift er Partei für Menschen, deren Schicksale sonst womöglich ungehört blieben. Sein Zugang zum jeweiligen Thema und zu den Menschen, denen er eine Stimme gibt, ist von Achtung, Respekt und Liebe geprägt. Vor kurzem konnte ich mich davon hier in Hamburg überzeugen, als die vom ihm zusammengetragenen Erzählungen und Musikstücke von sterbenden Menschen im Programm „Die letzten Lieder„ im Michel* zu hören waren. Zwei weitere aktuelle Projekte von Stefan Weiller sind „Die schöne Müllerin„, ein Liederzyklus mit Geschichten und Fragmenten unerfüllter Liebe wohnungsloser Menschen sowie die „Deutsche Winterreise„, die Einblicke in die Lebenswelt sozial ausgegrenzter Menschen gibt – beide in Verbindung mit Musik von Franz Schubert. Stefan Weiller recherchiert, schreibt und inszeniert diese Stücke und sucht dazu Kooperationspartner; seine Programme sind in in zahlreichen Städten zu sehen. Über diese anspruchsvollen Kunstprojekte hinaus bietet der Journalist Text- und Öffentlichkeitsarbeit an.
geboren 1970
reist gerne nach Island und Venedig
findet Regen und Wind wunderbar, aber Schnee und Eis am schönsten
hat Flugangst und ist nicht nur deshalb am liebsten daheim
Wie kommen Sie auf Ihre Projektideen, Herr Weiller?
In meinem Sozialpädagogik-Studium und als freier Journalist habe ich viele spannende Themen und Geschichten kennengelernt, die ich versuche, mit künstlerischen Mitteln an möglichst viele Menschen heranzutragen. Meist gab ein Gespräch mit einem besonderen Menschen den Anlass für ein neues Projekt. Und weil jeder Mensch seine Geschichte hat, gehen die Projektideen nicht aus.
Was mögen Sie besonders an Ihrer Arbeit?
Die Begegnungen mit Menschen: in Hospizen, in Obdachloseneinrichtungen, Frauenhäusern,… Zwar lässt mich das Schicksal der Menschen nie kalt, aber ich erlebe auch ganz viele starke Typen, die sogar in der existenziellen Krise bestehen. Und ich mag die kreative Freiheit meiner Arbeit. Weniger schön ist jedoch der finanzielle Überlebenskampf.
Welche Stationen waren wichtig für Sie?
Ich empfand jeden Ortswechsel, jeden Wechsel der Gewohnheiten – bei allem Abschiedsschmerz – immer als reinigend und gewinnbringend. Eine Begegnung mit einer sterbenden Frau im Hospiz Frankfurt, die ich für mein Projekt „… und die Welt steht still…“ interviewen durfte, war für meine jüngere Vergangenheit besonders wichtig. Die Frau war wenige Jahre älter als ich; sie stellte mir Fragen und gab mir auch gleich die Antworten: „Hassen Sie Ihren Job? Kündigen Sie ihn! Gibt es Menschen, die Ihnen nicht bekommen? Trennen Sie sich! Wollten Sie immer einmal ein bestimmtes Land sehen? Reisen Sie! Warten Sie nicht so lange.“ Ich habe unter dem Eindruck des dreistündigen Gesprächs tatsächlich mein Leben verändert, den Sprung in die Freiberuflichkeit gewagt, mein Adressbuch hinterfragt, und in einer Lagune auf Island gebadet, bis ich schrumpelig war. Jede Entscheidung war richtig – und wird es hoffentlich bleiben. Aber eines habe ich aus dem Gespräch auch mitgenommen: besser, man führt keine Liste unerledigter Dinge, denn sie wird niemals abgearbeitet sein.
Was war Ihr Berufswunsch, als Sie 14 Jahre alt waren?
Radiomoderator.
Welches Buch lesen Sie zurzeit?
Sibylle Berg: „Vielen Dank für das Leben.“ Schräg, böse, anrührend, klug, seltsam. Gut, es gelesen zu haben; gut, wenn es vorbei ist.
Was würden Sie während eines Sabbaticals tun?
Endlich ein Buch schreiben, oder zwei. Mal schauen, wie weit ich käme.
Was bedeutet Kunst für Sie?
„Kunst ist der Versuch, das zu ersetzen, zu ergänzen, was uns die Wirklichkeit versagt.“ Eduard Mörike
Warum arbeiten Sie für soziale und kirchliche Einrichtungen?
Soziale Einrichtungen, die von einer solidarischen Gemeinschaft getragen werden, halte ich für wichtige Säulen unserer Gesellschaft. Jeder braucht zuweilen Hilfe. Und wir sind nicht nur für uns selbst, sondern auch für einander verantwortlich. Das will ich mit meiner Arbeit fördern. Zugleich arbeite ich aber auch für andere Einrichtungen, etwa im Kulturbereich. Dass viele meiner Projekte in Kirchen realisiert werden, hängt mit der besonderen Wirkung dieser Orte zusammen; es sind Räume für alle Lebensstationen und alle Gefühle: für Klage, Gebet, Freude, Trauer, Dankbarkeit, Trost. Dort finden auch meine Projekte, die oft schwere Themen aufgreifen, einen guten Platz.
Welche Veränderungen wünschen Sie sich?
Ich glaube daran, dass wir Verteilungsgerechtigkeit von Werten, Gütern und Ressourcen herstellen können. Es ist genug für alle da, wir müssen es nur gerecht aufteilen.
Welche Entscheidung möchten Sie nicht missen?
Mein Outing, mein Bekenntnis zu mir selbst. Wobei das eigentlich weniger eine Entscheidung darstellt, sondern eine Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit.
Wie verbringen Sie am liebsten eine Auszeit/ Ihren Urlaub?
Schön ist es in Island, in einer heißen Quelle während über mir Regen fällt und Wolken treiben. Aber am Schönsten ist es zu Hause.
Worauf möchten Sie nicht verzichten?
Auf Freiheit, auf meinen Partner, meine Arbeit, Begegnungen mit Menschen – und darauf, auch mal schweigen und mich zurückzuziehen zu dürfen.
Wie fängt ein guter Tag für Sie an?
Mit Kaffee, einer Zeitung und der Freiheit, die ersten anderthalb Stunden des Tages ungestört morgen-muffeln zu dürfen.
Was darf in Ihrer Woche nicht fehlen?
Ein freier Tag.
Vielen herzlichen Dank, Herr Weiller! Für Ihre Arbeit wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg!
* Über den zauberhaften und berührenden Abend in der St. Michaeliskirche im Rahmen der Hamburger Hospizwoche und das Projekt „Letzte Lieder„ gibt es einen sehenswerten Fernsehbeitrag des NDR (und einen Blog-Beitrag).
Foto: Lena Obst